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Marke und Haltung: Zeit für Besinnung  

Nach der Purpose-Debatte läuft in der Welt der Brand Professionals die nächste Sinn-Diskussion in Sachen Marke, die Frage nach ihrer Haltung. Ein bunter, ziemlich wilder Strauß an Fragen ist mir dazu in den letzten Monaten im Gespräch mit Branchenkollegen begegnet:  

Sollen Marken gesellschaftliche oder politische Positionen vertreten – etwa zu Nachhaltigkeit oder Demokratie? Wirken sich solche Haltungen wirtschaftlich positiv aus? Und vor allem: Was genau ist unter „Haltung“ im markenstrategischen Sinne überhaupt zu verstehen? 

Marke ist ein soziales Bündnis – keine Lautsprecheranlage 

Zur Einordnung hilft ein Blick auf den Wesenskern jeder Marke: Marken sind keine Sender von Marketingbotschaften, sondern soziale Bündnisse. Sie entstehen um Ideen und Leistungsversprechen herum, gewinnen Kraft durch Resonanz – nicht durch Behauptung. Ihre Stärke liegt nicht nur im Logo, sondern vor allem im sozialen Wirkungsfeld. Marken funktionieren nicht per Dekret, auch nicht ausschließlich mit technologischer Dominanz. Sie müssen von den Menschen gewollt werden. 

Deshalb ist Differenzierung kein nettes Add-on, sondern Pflicht. Nur wer eine klare, relevante und unterscheidbare Position im Markt einnimmt, wird im Überangebot sichtbar – und begehrlich. Marken schaffen dann echten Mehrwert, wenn sie sich substanziell von Wettbewerbern abgrenzen. Diese Differenzierung ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Marken, die so geführt werden, vertreten eine starke Haltung aus sich selbst heraus. 

Haltungsthemen sind für Marken nach diesem Verständnis dann nützlich und wirtschaftlich erfolgversprechend, wenn sie etwas zu einer relevanten Differenzierungsleistung beitragen. Dazu sollten sie aus der Identität der Marke selbst kommen. 

Lego: Haltung durch Handeln und mit klarem Fokus 

Ein prominentes Beispiel kommt aus Dänemark: Lego ist eine sehr erfolgreiche Marke, die dies eindrucksvoll immer wieder aufs Neue belegt. Einst gegründet als Tischler-Werkstatt in Billund, wo sonst wirklich nichts ist, ist sie heute die stärkste und wertvollste Spielwarenmarke der Welt. Mit einer Fokussierung auf den Kern „create, learn, play“ und die berühmten Bricks. In immer neuen Varianten, für immer neue Zielgruppen. Kinder und Jugendliche spielen mit Star Wars-Bausätzen, zumeist Männer beschäftigen sich mit komplexen Technik-Bausätzen und zumeist Frauen kaufen seit neuestem hochpreisige Blumenstrauß-Bausätze aus Lego. Nachhaltigkeit, Diversität und andere typische Haltungsthemen sind für Lego ebenfalls wichtig. Sie werden glaubhaft kommuniziert, sind jedoch nicht der Kern der Kommunikation und werden vom Unternehmen dort vermittelt, wo es tatsächlich sinnvoll ist. Statt lautstarker Haltungsposts agiert Lego mit Maß und im Kontext. 

Customer Centricity ist auch hier die Maßgabe 

Sich genau zu überlegen, welche Botschaften wem gegenüber kommuniziert werden, ist ohnehin eine der Grundaufgaben für jede Marke. Ich habe mal einen Fahrradhersteller kennengelernt, der das Thema Nachhaltigkeit seinen Kunden unbedingt näherbringen wollte. Gleichzeitig musste der Hersteller feststellen, dass die Kunden sich dafür nicht erwärmen konnten. Es ist dann nicht sinnvoll, das mit der Brechstange bei den Kunden durchsetzen zu wollen. Es kostet nur Geld und bringt nichts – nicht nachhaltig. Doch natürlich sollte sich das Unternehmen weiterhin für Nachhaltigkeit einsetzen und dies etwa gegenüber dem Finanzmarkt und im Employer Branding kommunizieren. Dort wird das Thema womöglich mehr Gehör finden und von den Stakeholdern als hochgradig relevant für die eigenen Entscheidungen beurteilt werden. Es kommt auf den Kontext an, in dem Haltungsthemen kommuniziert werden. 

Sich auf sich selbst besinnen 

Eine Fokussierung vieler Marken auf dieselben wenigen Werte wie zum Beispiel „Nachhaltigkeit“ oder „Diversität“ erschließt sich mir allein schon aus der Marken-Grundanforderung nach einer Differenzierungsleistung nicht. Die Kommunikation von Haltungen, die politisch oder sogar parteipolitisch gedeutet werden können, scheint mir für Marken, die sich nicht unmittelbar im politischen Feld bewegen, im Hinblick auf den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses mit Kunden abträglich zu wirken (der viel zitierte „Musk“-Effekt für Tesla). Insofern können Haltungen auch dazu beitragen, dass die betreffenden Marken ihr in den Leistungen eigentlich enthaltenes Potenzial gar nicht ausschöpfen können. 

Sinnvoll kann eine Fokussierung auf „Haltungsthemen“ wie etwa Nachhaltigkeit dann sein, wenn die Positionierung und Kernleistung der Marke das auch einlösen kann. Marken wie Viva con Agua, Frosch und die oft genannte Outdoor-Marke Patagonia sind dazu sicher in der Lage. Dann dünnt sich das Feld aber auch schon aus. Im B2B-Segment greift dieselbe Logik.  

Die plausibelste und wirksamste Haltung für Marken scheint mir diejenige zu sein, die sich auf das bezieht, was die Marke wirklich zu leisten imstande ist und was auch nachweislich relevante Unterscheidungskraft im Markt erzielt. Dann heißt es, Grenzen ziehen statt reflexhaft wohlfeile Phrasen äußern, die weit vom Markenkern entfernt sind und keine Resonanz bei den Menschen entfalten.  

Abgestimmt wird am Ende und jeden Tag aufs Neue an der Kasse. Dort beweist sich die Demokratie der Märkte mit jedem Kaufakt. Das sollten sich Brand Professionals vor Augen führen und die ihnen anvertrauten Marken so führen, wie ihre Kundschaften es verdient haben. So manche Marke sollte zur Besinnung kommen. 

Über den Autor

Christian Prill ist ausgebildeter Soziologe und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Markenführung. Er sagt: „Marke ist sozialer Wille und damit unterm Strich nichts anderes als Vertrauen.“

Er begleitet mit seiner Firma STRAT FWD inhabergeführte Design-Agenturen und Beratungen bei der strukturellen Entwicklung, Positionierung und Marktdurchsetzung. Für deren Kunden entwickelt Christian Prill Marken- und Kommunikationsstrategien. Frei nach dem Motto von Michael Porter: „The essence of strategy is choosing what not to do.”

Christian Prill ist Buchautor (zuletzt: „81 Minuten Fluid Brands“) und Herausgeber (Jahrbuch Markentechnik, „Markenerfolg ist machbar“ u.a.). Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Fachmedien. Als Germany Representative engagiert er sich für die epda (european brand & packaging design association). Zahlreiche Vorträge zu Markenthemen im In- und Ausland (z.B. Toy Business Forum, Messe Jugend + Kind, Baltic Brand Conference, Österreichischer Marketing-Tag).

Frühere Stationen waren u.a. das Institut für Markentechnik, Brandmeyer Markenberatung (Co-Founder) sowie Factor Design (Mitinhaber und Partner für Brand Strategy).

Christians 3 wichtigste Anliegen im Brand Club:
· den Faktor Wertschöpfung verbessern
· die Verzahnung von Markenstrategie und Design voranbringen
· den Austausch von Brand Professionals fördern