„Marke und Haltung“ – so lautet das Jahresthema des Brand Club. Die Auswahl kommt nicht von ungefähr, ist das Thema doch in der Fachdebatte sehr präsent. Doch nur weil das Thema gerade in aller Munde ist, ist längst nicht alles unter dieser Überschrift, Haltung im eigentlichen Sinne.
Die gängige Argumentation geht so: Wenn Marken über ihr eigentliches Tätigkeitsfeld hinaus zu gesellschaftlichen, ökologischen oder politischen Fragen Stellung beziehen, zeigen sie Haltung. Diese Art der Kommunikation schärft das Markenprofil in der Öffentlichkeit, weil die Marke für Werte einsteht, die den Menschen wichtig sind. Und ganz nebenbei tut man auch noch etwas Gutes.
Ist das schon Haltung?
Und stärkt das die Marke?
Was genau macht eine Haltung eigentlich aus?
Und wann sollten Unternehmensmarken mit Fug und Recht ihre Haltung kommunizieren?
Wir identifizieren 3 Orientierungspunkte für Marken- und Kommunikationsverantwortliche:
1. Haltung verpflichtet
Wenn tausende Unternehmen in den sozialen Medien zur Wahlbeteiligung aufrufen, ist dagegen nichts einzuwenden. Nur hat das weder etwas mit Marke noch mit Haltung zu tun. Es ist ein reines „Schwimmen mit dem Strom“. Mit einem solchen Lippenbekenntnis verbrennt man sich zwar nicht die Finger. Aber es wird auch nicht nachhaltig mit der Marke verbunden – denn was alle tun, differenziert nicht. Und nichts davon wird als Haltung wahrgenommen, denn Haltung wird erst bei Gegenwind erkennbar: Wenn sie soziale oder andere „Kosten“ verursacht.
Wenn z. B. Google in den letzten Jahren seine DEI-Regeln (Diversity, Equality, Inclusion) dem Common Sense folgend umgesetzt hat, ist darin keine Haltung erkennbar. Wenn das Unternehmen jetzt aber trotz des Drucks aus Washington nicht nachgibt, zeigt dies eine Haltung zu den DEI-Prinzipien. Als Patagonia in eine Stiftung zum Kampf gegen den Klimawandel umgewandelt wurde, obwohl auf anderen Wegen viel höhere Gewinne hätten erzielt werden können, zeigte dies Haltung für den Klimaschutz. Nicht aber, wenn ein Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt, zu dem es ohnehin verpflichtet ist.
Wenn sie in Skandale verstrickt sind, zeigen Marken ebenfalls Haltung – nur etwas anders: In der Bankenkrise wurde deutlich, dass viele Finanzinstitute ihre Kunden bewusst falsch beraten hatten, um ihre Gewinne zu maximieren. Eine klare Haltung für kurzfristigen Profit und gegen Kundenwohl. Haltung an sich ist also weder positiv noch negativ. Das entscheidet sich erst an der Frage, wofür eine Haltung eingenommen wird und aus welcher Perspektive dies bewertet wird.
Haltung ist demnach das Commitment, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen und für etwas einzustehen, auch wenn dies möglicherweise mit Nachteilen verbunden ist.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Es spricht nichts dagegen, sich mit dem eigenen Unternehmen an „Haltungskampagnen“ zu beteiligen, wenn das Ziel unterstützenswert ist und nicht im Widerspruch zur Marke steht. Aber Markenverantwortliche sollten nicht erwarten, dass sich in einem halben Jahr noch jemand daran erinnert.
Wer sich ernsthaft mit der Frage der eigenen Haltung auseinandersetzen will, muss klären, wofür er im Ernstfall einstehen würde: Wofür würde man Opfer bringen, wichtige Investitionen tätigen, Kritik einstecken oder wirtschaftliche Chancen ungenutzt lassen? Denn im Zweifelsfall müssen den Worten auch Taten folgen – sonst kann der Schaden größer sein als der Nutzen.
2. Haltung als Prinzip
Dass Worten Taten folgen müssen, impliziert, dass Haltung nicht als rein externes Kampagnenthema verstanden werden kann. Haltung muss als handlungsleitendes Prinzip nach innen wirken, um sich gegebenenfalls konsequent und überzeugend nach außen dazu bekennen zu können.
Was bedeutet das konkret? Eine Haltung ist keine detaillierte Verhaltensregel, sondern eher eine Leitplanke für Entscheidungen und Maßnahmen im Unternehmen. Eine Marke, die sich beispielsweise als besonders philanthropisch versteht, kann sich einen Kinderarbeitsskandal in der Lieferkette noch weniger leisten als andere Marken. Sie ist auch stärker als andere gefordert, z.B. gegen Menschenrechtsverletzungen Stellung zu beziehen und Handelsbeziehungen mit entsprechenden Ländern kritisch zu betrachten.
All das hat Implikationen. Will eine Marke eine solche Haltung einnehmen, müssen Entscheidungen getroffen, Prozesse aufgesetzt, Kontrollen etabliert werden und vieles mehr.
Kurz gesagt: Haltung ist nur möglich, wenn sie organisational verankert wird und die Mitarbeitenden des Unternehmens (insbesondere das Management) entsprechend dieser Haltung agieren.
Darin liegt aber auch die Stärke von Haltung: Als oft ungeschriebenes Regelwerk bildet sie für die Mitarbeitenden den Rahmen dessen, was im Unternehmen möglich ist, worauf man sich verlassen kann, und bietet als kulturelles Bindeglied zwischen Werten und Handeln eine Identifikationsbasis: Sie vereint die Mitarbeitenden hinter der Marke.
Ohne innere Verankerung wird eine Haltung der Marke nach außen nicht sichtbar oder bei Kunden wirksam.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Die eigene Haltung ernsthaft angehen heißt, die Mitarbeitenden und insbesondere die Unternehmensführung einzubeziehen. Andernfalls drohen Papiertiger und Lippenbekenntnisse, aber keine wirksamen Effekte.
3. Haltung aus der Marke entwickeln
Haltung erfordert in der Organisation gelebtes Commitment, aber mit dem Blick auf das Markenpublikum stellt sich unweigerlich die Frage: Wie viel Haltung verträgt eine Marke? Wie viel Haltung verträgt sie ohne ihren eigenen Kompetenzbereich, ihr eigenes Geschäft und die eigene Wertschöpfung auf unglaubwürdige Art und Weise zu verlassen? Muss beispielsweise jeder Hersteller von Kartoffelchips weltweit gegen den Klimawandel antreten – oder geht es auch eine Nummer kleiner?
Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in einer Rückbesinnung auf den Grund der eigenen Existenz. Marken sind Akteure in der Wirtschaft, die Kundenbedürfnisse im Markt befriedigen. Sie sind keine NGOs, Parteien oder öffentliche Einrichtungen. Also sollten sie auch nicht so tun. Denn bereits das ureigene Tätigkeitsfeld von Marken ist ohne Haltung gar nicht denkbar; z.B. Haltung zum eigenen Produkt, den Mitarbeitern, Kunden usw. Ist erst einmal klar, wodurch sich diese intrinsische Haltung auszeichnet, lässt sich recht problemlos ableiten, wofür es einzustehen gilt.
Wie das geht, hat Reinhold Würth vorgemacht. Er erregte 2024 Aufsehen, als er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem offenen Brief aufforderte, nicht die AfD zu wählen. Damit erfüllte er nicht nur das oben genannte Kriterium, mehr zu tun als eigentlich nötig, sondern lieferte auch eine sehr glaubwürdige Begründung:
„Wir haben so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Wenn die alle nicht mehr zur Arbeit kämen, würde das schlicht den Zusammenbruch des Unternehmens bedeuten.“[1]
Gerade weil er hier nicht so tut, als sei er z.B. ein Politiker, sondern authentisch in seiner Rolle als Unternehmer bleibt, wirkt das überzeugend.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Unternehmen repräsentieren über ihre Marke(n) unweigerlich eine Haltung. Zunächst gilt es also herauszufinden, was diese Haltung ausmacht, wie sie zu bewerten ist und wie weit sie trägt. Dann wird schnell klar, wofür man stehen sollte oder sogar muss. Aber auch, wo die Grenzen der eigenen Haltung liegen! Aus dieser Position heraus lässt sich sehr klar entscheiden und unternehmerisch und gesellschaftlich wirksam handeln.
[1] https://www.focus.de/politik/deutschland/unternehmer-schrieb-brief-an-die-mitarbeiter-wuerth-raet-von-afd-wahl-ab-wuerde-den-zusammenbruch-des-unternehmens-bedeuten_id_260228795.html